
Grimsel – auf der Suche nach Kühle
Heute habe ich mir den Grimsel ausgesucht. Es ist heiss, und ich hoffe auf frische Bergluft. Eine einfache Wanderung soll es werden – zwei Stunden, nicht zu viele Höhenmeter.
Die Anreise zieht sich, doch sie hat ihren Reiz. Der Zug ist gut gefüllt, und trotzdem ergattere ich einen Fensterplatz. In Meiringen geht es weiter mit dem Bus – oder besser gesagt: mit einem von vieren. Gar nicht so einfach, den richtigen zu finden. Schliesslich sitze ich auch hier am Fensterplatz, direkt hinter dem Chauffeur und geniesse die Fahrt über die kurvigen Bergstrassen ganz aus der ersten Reihe.
Beim Grimsel Hospiz steige ich aus – nur zu dritt. Für einen Moment frage ich mich, ob ich wirklich richtig liege. Aber ja: So habe ich es geplant, und so mache ich es.


Allein über den See, gemeinsam durch die Berge
Am Grimsel Hospiz gehe ich zur selbst zu bedienenden Oberaarbahn. Ticket am Automaten, die Treppen runter – nur ich. An der Station steht die Gondel bereit. Noch immer niemand da. Vor mir der See, über den sie fahren wird. Für einen Moment frage ich mich, ob das eine gute Idee war. Doch ich habe es geplant – also tue ich es.
Ich steige ein, drücke auf Start, Türen zu – und los. Über den See. Mulmig, allein. Ich sitze still, fahre, warte, bis es vorbei ist.
An der Zwischenstation muss ich umsteigen. Wieder allein. Ich gehe durch ein graues Gebäude, sehe die nächste Gondel grad davonfahren. An der Zwischenstation kein Ausgang, nur warten – und die Frage: Wie wird die nächste Fahrt?
Dann tritt eine junge Frau dazu. Auch sie allein unterwegs. Wir warten gemeinsam. Als die Gondel kommt, steigen wir ein, drücken auf Start – und los geht’s.
Doch diesmal ist es anders. Statt Anspannung breitet sich Ruhe aus. Die Gondel gleitet gleichmässig dahin, der Blick öffnet sich weit über die Berge. Wir sitzen nebeneinander, reden ein wenig, lächeln über unser Gondelabenteuer und schweigen, ohne dass es unangenehm wäre. Zwei Frauen, die einen gemütlichen Samstag in den kühlen Bergen geplant haben und nun ruhig und zufrieden die Fahrt geniessen.




Wo Gedanken abfallen und Weite beginnt
Am Oberaarsee angekommen, trennen sich unsere Wege. Die junge Frau macht Halt auf der wunderschönen Terrasse des Berghaus Oberaar, ich schultere meinen Rucksack und laufe los. Erst ein Anstieg, dann öffnet sich die Weite – Felsen, Wasser, Himmel.
Der Weg führt entlang von Seen und Bergen, still, klar, eindrücklich. Kaum Menschen, fast nur ich und diese Bergwelt. Wege zweigen ab, führen in andere Richtungen, verschwinden hinter Kuppen und Felsen. Ich bleibe auf meinem Pfad, laufe über Stein und Kiesel, mal auf schmaleren, mal auf breiteren Wegen.
Es ist keine lange Wanderung, aber sie wirkt in mir. Mit jedem Schritt löst sich etwas. Gedanken fallen ab, der Kopf wird leicht, die Atmung frei. Inmitten von Steinen und Weite finde ich zurück zu mir.








Ein Lächeln am Grimselpass
Zum Schluss wird es noch einmal knackig: steil, steinig, rutschig. Ich gehe zügig, denn den Bus will ich unbedingt erwischen – der nächste fährt erst in drei Stunden.
Und dann, am Pass, steht der Bus bereit. Ein Lächeln breitet sich aus – geschafft. Es reicht sogar noch für eine Cola holen - und innezuhalten auf dem Grimselpass, auf dem reges Treiben herrscht.



Ein Bus voller Geschichten
Im Bus treffe ich wieder auf den Trailrunner – zum dritten Mal heute. Natürlich hat er eine viel längere Strecke hinter sich als ich, doch immer mal wieder haben sich unsere Wege gekreuzt und wir haben uns gegrüsst. Jetzt sitzen wir beide zufrieden im Bus, wieder ganz vorne, direkt hinter dem Fahrer.
Der Trailrunner und der Chauffeur kennen sich, und so beginnt eine Fahrt voller Geschichten, Lachen und kleiner Abenteuer. Wir nehmen Leute mit, warten auf die, die noch angerannt kommt, lassen andere spontan aussteigen. Es fühlt sich an, als wären wir eine kleine Gemeinschaft auf Rädern.
Eine Stunde Busfahrt vergeht wie zehn Minuten. Für mich ist es mehr als nur Heimfahren – es ist wie Heimkommen unterwegs. Inmitten von Menschen, die ich gar nicht kenne, und die mir doch so schnell vertraut sind. Genau das liebe ich am Unterwegssein: wenn aus Fremden für einen Moment Vertraute werden.


Letzte Strecke - und in Gedanken bereits beim nächsten Wochenende
In Meiringen steige ich in den Zug und lasse mich nach Hause rütteln. Draussen wird es dunkler, Wolken ziehen auf. In mir aber ist Ruhe. Zufriedenheit. Ich fühle mich geerdet – ein anderer Mensch als noch am Morgen.
Ich freue mich auf Zuhause, auf den Sonntag ohne Pläne. Und auch schon ein wenig aufs Karten ausbreiten am Esstisch – denn nächstes Wochenende heisst es Bikepacking. Wenn das Wetter mitspielt.

Inspirationen und Informationen
Für das Grimselabenteuer habe ich mich von der aktuellen Ausgabe von "Das Wandern" der Schweizer Wanderwege inspirieren lassen.
Ich habe die Wanderung "Aussichtsreich zum Oberaarsee" aus dem Magazin in umgekehrte Richtung gemacht. Damit war ich am Schluss etwas freier für das Erreichen des Postautos, da ich nicht noch die Bahn nehmen musste.
Daten zum Weg
Start: Grimsel Hospiz / Ziel: Grimselpass / Distanz: 6 km / Aufstieg: 280 hm / Abstieg: 450 hm
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Kommentare
Ich bin sooooo begeistert von deiner Energie
Man spürt wie du von deinen wunderschönen Gedanken getragen wirst....
Danke von ganzem Herzen ❤️❤️❤️❤️❤️
So eindrucksvoll am Grimsel, den wir so viele Male mit dem Töff überquert und nie einen grossen Halt gemacht haben. Genau deshalb ist es für uns ganz besonders, dein Erlebnis in unseren Gedanken mit aufzunehmen.
Danke liebe Karin 🫶🥰
Ich bin fasziniert von Deiner Wandergeschichte. Ganz alleine auf Dich gestellt. Bewundernswert.