Via Alpina 🥾 Linthal - Altdorf

Veröffentlicht am 28. Juni 2025 um 19:00

Zwischen Zwitschern und Zugfahrt

Ich sitze am Tisch, draussen ist es noch nicht ganz hell. Die Vögel zwitschern in den Tag hinein – ich bin noch nicht im Tag angekommen. Ich bin ruhig, etwas schwer vielleicht, noch nicht ganz in Bewegung. Und das ist okay.

Ich starte langsam. Vor mir liegt eine längere Zugfahrt. Genug Zeit, um noch ein wenig zu dösen, zu träumen, in Gedanken zu schweifen. Ich muss nichts tun, nichts denken - erwachen.

Heute beginnt ein weiteres Abenteuer. Zum ersten Mal bin ich zwei Tage alleine unterwegs – und das in den Bergen. Zwei Tage nur ich, mein Rucksack und der Weg.

Ich starte in Linthal, an der Stichplattenkehre – dort, wo mich der Bus absetzt. Von hier aus geht es zu Fuss weiter, erst auf einem Wanderweg, der mich hinauf zum offiziellen Einstieg der Via Alpina bringt.

Die Route heute führt über die Via Albina – ruhig, abgelegen. Weniger Dörfer, weniger Zivilisation. Wenig Möglichkeiten, spontan umzuplanen. Ich weiss: Hier gibt es keine bequemen Ausweichrouten.

Aber es ist klar - ich werde diesen Weg gehen. Er ist geplant und klar in meinem Kopf.


Unterwegs

Die Zugfahrt ist genüsslich. Erstaunlich ruhig ist es – an den Bahnhöfen, im Zug selbst. Ich sitze am Fenster, schaue hinaus, und lasse den Tag jetzt so richtig beginnen. Noch ist alles offen. Ich bin unterwegs. Und gespannt auf das, was heute kommt.

Angekommen in Linthal. Sonne auf den Dächern, Wanderschuhe auf dem Asphalt. Wanderer strömen aus Zügen, sortieren Karten, schultern Rucksäcke. Ein Kommen und Gehen – aufbrechen, ankommen, weiterziehen.

Busse, Taxis, Geplauder. Und ich mittendrin. Ganz still. Ich steige in den Bus. Er ist voll. Menschen mit Plänen. Mit Wanderzielen. Mit Vorfreude.

Der Buschauffeur begrüsst uns mit einem Lächeln in der Stimme. Er werde uns über den Klausenpass fahren, sagt er – und unterwegs Geschichten erzählen, über Orte, Zeiten, Kurven.

Und das tut er. Mit Charme, mit Witz, mit Freude. Der ganze Bus hört zu, lacht, lauscht. Neben mir ein Mitreisender, der mir von seinen Reisen mit dem ÖV durch die Schweiz erzählt – spannend, lebendig, mit glänzenden Augen.

Und dann, kurz vor meiner Haltestelle: „Oh – wollte da jemand raus?“ „Ja, ich!“ Er hält an, wünscht mir einen guten Tag, ich dem ganzen Bus auch – und sie mir. So ein herzlicher Moment.


Sanft begonnen, steil geworden

Ich beginne zu laufen. Die Wärme steigt vom Boden auf – ganz sanft, wie ein Gruss des Morgens. Der Boden ist noch leicht feucht vom Regen gestern. Es riecht nach Erde. Ich höre Grillen. Vögel. Kuhglocken. Der Boden ist weich unter meinen Füssen. Ich gehe los.

Schon nach kurzer Zeit wird es steil. Richtig steil. Kühler Wald – und doch schon völlig durchgeschwitzt. Der Aufstieg lässt keinen Zweifel: Ich bin unterwegs.

Meine Etappe beginnt heute ja nicht dort, wo sie offiziell starten würde. Der Bus hat mich zur Stichplattenkehre gebracht und der Wanderweg bringt mich nun direkt zur Via Alpina.

Ein anderer Einstieg. Der Aufstieg fordert – aber ich bin unterwegs. Und das zählt.

Mitten im Wald dann - ich treffe auf den Weg. Jetzt bin ich offiziell auf der Via Alpina. Ein stilles Hallo an diesen Weg, der mich heute führen wird und von dem ich schon viel gelesen habe.


Zwischen Bäumen, Gedanken und Weite

Ich laufe durch den Wald. Es ist steil, grün, dicht. Der Weg zieht sich hoch, Kurve um Kurve. Kein Blick nach vorn, keine Weite, keine Aussicht. Nur Bäume. Nur Wald. Und ich merke: Es berührt mich nicht.

Das überrascht mich. Ich bin gerne unterwegs. Ich mag das Gehen, das Draussensein. Aber hier fehlt mir etwas. Es ist nicht die Anstrengung – es ist die Enge. Ich sehne mich nach Raum. Nach einem Blick, der weiter reicht als bis zum nächsten Baum.

Ich denke zurück an Wege, die mehr gezeigt haben – Dörfer, Wiesen, Strassen, Bahngleise. Orte, wo das Leben sichtbar war. Vielleicht ist das, was ich wirklich mag, genau das: Natur, ja – aber eingebettet ins Leben.

Vielleicht ist das meine Erkenntnis heute: Ich liebe das Gehen. Aber ich brauche Raum. Und Weite. Und Zeichen vom Leben.

Es dauert nicht lange, da wird es weit. Der Wald lichtet sich und plötzlich sind sie da: die Berge. Klar vor mir, gross, still. Kühe stehen am Wegrand, kauen, schauen. Andere Wanderer kommen mir entgegen oder gehen ein Stück mit. Ein Grüssen, ein Nicken. Manchmal führt der Weg über die Strasse. Hart unter den Füssen, aber offen, mit Aussicht.

Es ist lebendig. Ich bin mittendrin.


Kühle im Gesicht

Ein Bach plätschert neben mir – kühl, leise, unaufgeregt. Ich sitze am Wasser, mein Körper warm vom Gehen, mein Gesicht vom Wind berührt, die Stirn vom Aufstieg gezeichnet.

Jetzt ruhe ich. Mein Sandwich in der Hand, Höhenmeter in den Beinen, Erlebnisse im Rucksack. Der Tag hat schon viel gezeigt. Und noch liegt ein grosses Stück vor mir. Doch jetzt ist nur dieser Moment: Kühl fliesst der Bach – und mit ihm die Gedanken.

Der Weg geht weiter. Dem Fluss entlang, an Dörfern vorbei, durch Wiesen, die sich öffnen. Es läuft gut – meine Beine finden ihren Rhythmus, und der Weg trägt mich weiter.


Gemeinsam auf dem Weg zum Klausenpass

Und dann geht es nochmal richtig in die Steile. Der Aufstieg zum Klausenpass beginnt.

Manche gehen langsam. So wie ich. Andere laufen zügig, machen kurze Pausen. Der Holländer. Die Frau, die flink unterwegs ist.

Immer wieder suchen wir gemeinsam den Weg. Trennen uns, treffen uns wieder. Alle haben ihren Rhythmus, ihr Ziel, ihre Zeit.

Der Holländer fragt, ob wir in der Schweiz gerade Ferien haben – weil so viele Schweizer unterwegs sind. Er erzählt mir von den Blumen in Holland – und von denen, die es dort nicht gibt. Wir tauschen uns aus. Gehen ein Stück gemeinsam. Dann läuft er weiter.

Die Frau, die die letzten zwei Tage mit ihrem Kollegen auf der Via Alpina unterwegs war, geht heute noch etwas weiter als er – bis zum Bus auf dem Klausenpass. Auch sie fragt mich: Was ich schon gegangen bin. Was ich noch vorhabe. Wohin mein Weg mich führen soll.

Wir reden. Über Wege, Ziele, Gedanken. Über das, was wir hinter uns haben – und das, was noch kommen darf. Und trennen uns dann wieder, um uns später wieder zu treffen.

So lässt es sich gut gehen. Schritt für Schritt. Hinauf zum Klausenpass.


Kühle, Cola, Kuh – und dann Ankommen

Ich komme an auf dem Klausenpass. Sehe Gesichter, die mir vertraut vorkommen – Menschen, die ich schon im Bus gesehen habe. Sie sind einfach ein Stück weiter oben gestartet. Jetzt treffen wir uns hier wieder, oben, auf dem Pass.

Ich bestelle mir eine Cola – auf sie habe ich mich schon den ganzen Aufstieg gefreut. Kühl. Süss. Erfrischend. Ich setze mich kurz hin, atme durch. Der Blick geht weit, die Luft ist frischer geworden.

Danach geht es weiter – nicht mehr weit bis zu meiner Unterkunft. Oder sagen wir: bis zum ersten Umweg. Denn da steht sie: eine Kuh. Breit im Weg. Und dahinter: eine ganze Mutterkuhherde. Ich weiss sofort – das ist nicht mein Weg. Ich nehme einen Bogen über die Wiese, umlaufe die Herde in respektvollem Abstand. Sie beäugen mich skeptisch.

Und dann, nach 18 Kilometern und 1‘200 Höhenmetern, taucht sie auf: meine Unterkunft. Das Hotel Klausenpass. Kein grosser Empfang – aber ein gutes Gefühl.

Die Dusche: wohltuend. Ein Tisch wartet schon. Ich setze mich. Der Abend darf langsam werden. Ich bin angekommen.

Und schon voller Vorfreude auf den Schächentaler Höhenweg Morgen. Aber zuvor auf eine erholsame Nacht in den Bergen.


Morgen in den Bergen

Wäre ich nicht schon vor fünf wach gewesen, hätten mich die Kühe geweckt. Die ersten Glocken klingen über den Asphalt, denn die Herde wird direkt auf der Strasse ins Tal geführt. Gestern Abend um zehn sind die letzten Kühe hier oben vorbeigezogen.

Ich drehe mich noch einmal um, habe die Vorhänge geöffnet, schaue hinaus: Berge, Strasse, Kühe, die langsam abwärts trotten. Und ich spüre sofort: Liegenbleiben geht nicht. Ich muss raus. Ich geniesse die kühle Morgenluft und die Ruhe. 

Um sieben gehe ich frühstücken. Ein heiteres Bild: Diese kleine Eierkochmaschine, dazu Kükenwecker, die piepen, wenn zwei, drei oder fünf Minuten um sind. Ein Lachen geht durch den Raum. Es ist lebendig, fröhlich. Drei Töff-Fahrer sind da, vier Traktorfahrer, drei Französisch-Sprechende, das Servicepersonal und ich.

Zurück im Zimmer höre ich die Glocken wieder. Ich sehe noch einmal zu, wie die Kühe auf der Strasse ins Tal geführt werden. Die Begleiter winken, die Kühe sind wach, fast wild, sie spüren den Morgen – so wie ich. Diese Aufbruchstimmung nehme ich mit.

Mein Körper ist weich, fliessend, voller Energie. Er will los. Also packe ich meine paar Sachen, schliesse die Zimmertür – und gehe. Nach acht Uhr. Vom Pass hinunter, hinein in den neuen Tag.


Es wird ein heisser Tag

Die ersten Schritte – wunderbar. Wiesen, die sich öffnen. Kuhglocken, die den Morgen tragen. Ein Bach, der plätschert, als würde er leise grüssen. Alles fühlt sich leicht an. Hell. Wach.

Und dann – wie gesern bestellt – Zivilisation. Ein Bus hält, Türen öffnen sich, und dann sind sie da: die Wanderer. Viele. Stimmen, Rucksäcke, Stöcke, Pläne. Der Schächentaler Höhenweg ruft. 

Es ist schon jetzt am Morgen richtig warm. Die Sonne steht hoch, die Luft flimmert ein wenig. Ich spüre die Wärme auf der Haut – und denke: Es wird ein heisser Tag.


talwärts 

Nach sechs Kilometern auf dem Schächentaler Höhenweg zweigt die Via Alpina ab, verlässt den breiten Weg und folgt jetzt ihrer eigenen Spur. Zum Glück bin ich eingelaufen, meine Beine sind warm, bereit.

Jetzt geht es hinunter. Und wenn ich wirklich bis nach Altdorf laufe, werden es rund 1'800 Höhenmeter Abstieg sein.

Aber die Beine wissen, was sie tun. Sie tragen mich einfach weiter – Schritt für Schritt, Talwärts.

Urigen erreicht – und das mit Leichtigkeit. Es ist noch nicht einmal Mittag, der Hunger lässt noch auf sich warten. Meine Beine sind noch voll in ihrer Kraft. Also entscheide ich mich, weiterzugehen. In Spiringen werde ich eine Mittagsrast machen, werde schauen, ob ich dort den Bus nehme oder ob ich einfach weiterlaufe.


Einfach mitlaufen

Nächstes Etappenziel wäre eigentlich Spiringen gewesen – mit einer aktiven Entscheidung. Aber entschieden hat am Ende etwas anderes.

Kurz davor treffe ich den Kollegen der flinken Frau von gestern wieder. Heute ist er mit einem Kollegen unterwegs. Wir kommen ins Gespräch, plaudern, lachen – so spannend, dass wir einfach weitergehen. 

Durch Spiringen durch, durch Felder, Wege und plötzlich ist klar: Der Weg zeigt sich selbst. Ich mache ihn bis Altdorf. Meine Beine sind immer noch fit. Ich esse mein Sandwich im Gehen, trinke Orangensaft, geniesse es, wie die Beine einfach laufen. Am Wasser entlang, leicht.


Energie im Moment

Die Zehen schmerzen immer stärker vom Abstieg. Ich finde ein Plätzli am Bach, ziehe die Schuhe aus, tauche die Füsse ins kühle Wasser. 

Und merke so beim Dasitzen: Es geht um mehr. Das Rauschen, das Plätschern – es spült alles weg. Nicht nur die Hitze in den Füssen. Körper, Geist, Seele – alles darf durchgespült werden.

Es ist kraftvoll, klar, wild. Ich komme fast nicht mehr weg von diesem Bach. Er putzt mich frei.


Der Weg will es noch einmal wissen

Ein letzter Blick zurück – auf diese wunderbare Energiequelle, die mich durchgespült hat, bis in jede Zelle.

Mein Körper fühlt sich gut an. Die Zehen? Noch nicht wirklich besser, aber auch nicht schlimmer. Es ist nicht mehr so weit, wie es schon war. 

Der Weg will es nochmals wissen. Es ist schön – keine Frage. Mal laufe ich über Wiesen, mal tragen mich die Bäume durch den Wald, mal überquere ich einen rauschenden Bach, der alles kühlt. Aber er fordert noch einmal: steigt steil hinauf, nur um mich danach wieder hinunterzuführen. 

Es sind nicht mehr viele Kilometer. Ich weiss, ich werde ankommen in Altdorf. Und meine Beine? Immer noch voller Energie. Sie tragen mich weiter – Schritt für Schritt.


Hallo Altdorf - Grüezi Tell

Der letzte Teil – ein an sich kurzweiliges Stück: Wege durch den Wald, über Wiesen, durch kleine Quartiere. 

Meine Zehen aber? Die schmerzen noch mehr vom vielen Abstieg. Also nehme ich kurzerhand meine Schuhe in die Hand, laufe mit den Socken auf dem Asphalt und muss schmunzeln – über mich, über diesen Weg. Es tut einfach gut. Und es ist einfach egal.

In Bürglen mache ich eine Zwischenstation, einen kleinen Halt im Restaurant Adler. Dort gibt es eine wunderbar kühle Cola – wie sich das gehört, auf die ich mich immer besonders freue. Ich geniesse sie mit grosser Freude.

Ankommen am Telldenkmal. Ich sage dem Tell Hallo, werfe noch einen Blick in den Kiosk und gönne mir eine kleine Abkühlung für den Weg zurück.

Der Körper ist müde. Zu müde, um wirklich loszulassen. Und es ist heiss — so heiss, dass selbst die Erschöpfung keine Ruhe findet. Ich merke, wie noch so viel in mir unterwegs ist, obwohl ich längst angekommen bin.

Und während ich so im Zug sitze, weiss ich: Da draussen wartet schon der nächste Weg. Bald ziehen wir wieder los – diesmal Richtung Bretagne - mit dem Wohnmobil. Wege am Meer, salzige Luft, unser Camper, wir zwei.


Inspirationen und Informationen 

Inspirieren für den Weg lasse ich mich vom Buch:Von Wegen. Allein auf der Via Alpina - 2363 Kilometer zu Fuss von Triest nach Monaco oder von der Website: Via Alpina Trail

Weitere Informationen zum Weg hole ich mir aus den Websiten:  SchweizMobil Via Alpina Route 1 oder Schweizer Freunde des Jakobsweg. 

Daten zum Weg

Start Tag eins: Linthal Stichplattenkehre / Ziel: Klausenpass Hotel Klausenpass / Distanz: 18 km / Aufstieg: 1'200 hm / Abstieg: 480 hm

Start Tag zwei: Klausenpass Hotel Klausenpass / Ziel: Altdorf / Distanz: 23 km / Aufstieg: 450 hm / Abstieg: 1'800 hm


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Kommentare

Elsbeth Schnarwiler
Vor einem Monat

Zu deiner Leistung für die zwei anstrengenden Tage in den Bergen, mit so vielen Höhenmetern, kann ich nur gratulieren. Es ist ja so spannend deine Berichte zu lesen und fühlen wie man auf der ganzen Tour dabei wäre.
Du und die Zehen werden sich erholen und bald wieder bereit sein für neue Abenteuer.

Esther
Vor einem Monat

Liebe Karin, einfach nur WOW! So ein toller, spannender und schöner Bericht. Und was für eine Leistung von dir - herzliche Gratulation zu diesen Kilometern und Höhenmetern, ich bin echt beeindruckt. Vor allem aber freue ich mich, auf viele weitere Etappen, wo ich ein bisschen "mitkommen" darf :-)