So 6. Juli 2025 - xxx nach Dünkirchen

Veröffentlicht am 15. Juni 2025 um 19:14

Los gehts wieder

Morgenstille. Ich sitze beim Frühstück, der Tag liegt vor mir – noch leer, noch offen. Nur eine Ahnung, ein Wunsch ist da: Ich will raus. Laufen. Zu Fuss unterwegs sein. Nicht zu wild, nicht zu steil, einfach draussen sein. Natur, Weite, Atem.

Ich öffne mein Handy, suche nach Wegen, klicke mich durch Karten, Bilder, Routen. Plötzlich bleibe ich hängen – Via Jacobi. Der Name berührt etwas in mir. Ein alter Wunsch, leise und lang vertraut: einmal auf dem Jakobsweg unterwegs sein. Ich wusste, dass es irgendwo in der Schweiz auch Abschnitte davon gibt. Aber dass dieser Weg wirklich da ist – beschildert, begehbar, bereit – wird mir erst jetzt klar. Und er liegt plötzlich ganz nah.

Ich beginne zu planen. Eine Etappe im Kanton Fribourg. Nicht zu lang, aber schön. Sanft hügelig, durch Dörfer, Wälder, Felder. Ein Weg, der nicht nur draussen führt, sondern auch nach innen. Es kribbelt. Nicht im Kopf, sondern tiefer. Ich kann es nicht erklären, aber ich muss da hin.


Dahin wo der Weg beginnt - Avry sur Matran

Ich sitze im Zug, dann im Bus. Die Gegend ist mir fremd. Ich kenne keine Namen, keine Strassen, keine Orte. Alles ist neu – und genau das fühlt sich richtig an. Ich lehne mich zurück, lasse die Landschaft an mir vorbeiziehen. Häuser, Felder, Hügel. Ein Übergang. Vom Alltag ins Unterwegssein.

Der Bus fährt durch kleine Ortschaften, durch Wohnquartiere, alles wirkt ruhig, fast beiläufig. Ich frage mich kurz, ob ich richtig bin – und steige dann in einem Ort mit dem Namen Avry aus. Kein markanter Punkt, kein grosses Willkommen. Einfach eine Haltestelle. Und doch: Hier beginnt es.

Ich ziehe die Schuhe fester, nehme einen Atemzug – und gehe los. Zuerst durch weitere Quartiere. Häuser, Gärten, Einfahrten. Noch fühlt sich nichts besonders an. Es ist ein Weg wie jeder andere.

Und dann: Die Strasse biegt ab. Vor mir öffnet sich das Grün. Eine Wiese, weit, saftig, lebendig. Dahinter ein Wald, dunkel und still. Ich bleibe kurz stehen. Schaue. Atme. Jetzt beginnt mein Weg.


Eins mit dem Weg

Ich sehe nur Wald, Wiesen, Frühling. Alles blüht, alles lebt. Die Luft ist weich, durchdrungen vom Duft der Erde und dem Gesang der Vögel. Ich bin mittendrin – und doch ganz ruhig. Niemand ist da. Kein Mensch. Kein Laut, ausser dem Rascheln der Blätter, dem Knacken unter meinen Schritten. Es ist niemand auf diesem Weg.

Ich begegne nur mir selbst. Und dieser Natur. Und plötzlich ist da etwas: ein Gefühl von Kraft. Von Leichtigkeit. Als würde ich aufgeladen, Schritt für Schritt. Ich spüre, wie mein Körper wach wird, wie mein Atem tiefer wird. Ich werde stark. Klar. Und gleichzeitig leicht. Ich gehe einfach. Nicht schnell, nicht zielgerichtet. Sondern selbstverständlich. Als würde ich das schon immer tun. Als hätte mein Körper diesen Rhythmus immer gekannt. Als wäre das hier – ganz einfach – mein Platz.

Ich kann es noch gar nicht fassen. Etwas in mir braucht Zeit, um zu begreifen, was gerade geschieht. Aber mein Körper weiss es längst. Und mein Herz beginnt es zu glauben. Zu weit. Zu anstrengend. Mit meinen chronischen Schmerzen, der Erschöpfung, den Grenzen, die mein Körper mir so oft gesetzt hat – war dieser Weg immer ausser Reichweite. Zu gross. Zu viel. Ein Bild im Kopf, das schön war, aber nicht greifbar. Und jetzt stehe ich hier. Auf dem Weg. Mitten in dieser Landschaft. Und ich gehe. Schritt für Schritt. Ich bin tatsächlich unterwegs. Auf diesem Weg.


Muscheln

Ich mache Rast. Setze mich an den Wegrand, trinke etwas, schaue ins Grün. Noch immer bin ich wie eingehüllt – in die Stille, in das Gehen, in dieses grosse Staunen, dass ich wirklich hier bin.

Da kommen zwei Menschen den Weg entlang. Sie gehen ruhig, nebeneinander. Rucksäcke. Stöcke. Schritt für Schritt ziehen sie an mir vorbei. Ich schaue ihnen nach – und dann sehe ich es. Muscheln. Sie hängen an ihren Rucksäcken. Ganz still, ganz selbstverständlich.

Die Muschel – das Zeichen des Jakobswegs. So oft davon gelesen. Und jetzt hängen sie da, direkt vor mir, auf diesem Weg. Und etwas in mir berührt das tief. Mein Herz öffnet sich. Weit. So weit, wie ich es lange nicht mehr gespürt habe.

Da ist kein Zweifel mehr. Kein Zögern. Ich bin angekommen – nicht am Ziel, aber auf dem Weg. Auf meinem Weg.


Ein stiller Meilenstein

Ich sitze da, ganz still. Und weiss: Das hier ist ein Meilenstein. Ich habe etwas erreicht, was lange unerreichbar schien. Nicht laut, nicht sichtbar für andere – aber tief in mir.

Ich bin dankbar. Unendlich dankbar, dass ich das erleben darf.


Der WEg hat begonnen

Vielleicht war das der schönste Teil, den ich je auf dem Jakobsweg gehen werde. Nicht nur, weil es der erste war. Nicht nur, weil er so viel in mir ausgelöst hat. Sondern weil er einfach wunderschön war. Diese Stille. Diese Weite. Diese Natur, die sich gezeigt hat wie ein Geschenk – offen, klar, lebendig.

Etwas in mir ist aufgewacht an diesem Tag. Und etwas in mir ist angekommen. Ich freue mich auf alles, was noch kommt. Auf jeden weiteren Schritt. Auf jede neue Etappe. Der Weg hat begonnen.


Informationen zum Via Jacobi in der Schweiz: 



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